Klimaantrag BDK51

Bündnis 90 / Die Grünen - Klimaantrag - 51. Bundesdelegiertenkonferenz
Hannover 

Beschlossen: KMV Warendorf, 09.10.2025

Antragstext

Der gemeinsame Aufruf der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und der Gesellschaft Deutscher Chemiker unter dem Titel "KLIMAAUFRUF 2025 - Ein Aufruf zu entschlossenem Handeln" warnt vor einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 3 Grad bis 2050.

Die Auswertung der Klimadaten weist eine Beschleunigung der Klimakatastrophe aus. Das Weltklima befindet sich mit einer relevanten Wahrscheinlichkeit auf dem Worst-Case-Pfad des IPCC-Berichts von 2023. Ergebnisse von Klimamodellen deuten darauf hin, dass bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung bis zu 5 Grad möglich ist. Dies würde das Ende der Zivilisation und der Artenvielfalt, wie wir sie heute kennen, bedeuten und muss deshalb mit allen
verfügbaren Mitteln verhindert werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 9. April 2024 klargestellt, dass unzureichender Klimaschutz eine Verletzung der Menschenrechte darstellen kann. Das Gericht befand, dass Staaten die Pflicht haben, effektive Maßnahmen zum Schutz ihrer Bürger*innen vor den Auswirkungen des Klimawandels zu ergreifen, um das Recht auf Leben und Gesundheit zu gewährleisten. Dieses Urteil macht deutlich: Klimaschutz ist nicht nur Umwelt- und Wirtschaftspolitik – er ist auch Schutz von Gesundheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde für alle Menschen, heute und in der Zukunft.

Frauen sind weltweit und auch in Deutschland in besonderem Maße von klimabedingten Risiken betroffen – etwa durch höhere gesundheitliche Belastungen, durch soziale Ungleichheiten und durch die Zunahme von Sorge- und Pflegearbeit infolge klimatischer Veränderungen. Klimapolitik muss deshalb immer auch geschlechtergerecht sein.

Die Klimakatastrophe trifft den Globalen Süden am härtesten – dort, wo Menschen am wenigsten zu seiner Entstehung beigetragen haben. Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfälle zerstören Existenzen und treiben Menschen in die Flucht. Klimaschutz ist daher auch Menschenschutz und ein zentraler Beitrag zur Verringerung globaler Fluchtbewegungen.

Wir von Bündnis 90 / Die Grünen müssen erkennen, dass wir die Geschwindigkeit und die vielfältigen Auswirkungen der Klimakatastrophe unterschätzt haben. Auf Basis der von der Wissenschaft bereitgestellten Faktenlage werden wir Grünen uns daher inhaltlich und strategisch neu aufstellen. Dazu gehört insbesondere, dass die globalisierte Gesellschaft das Festhalten an Wirtschaftswachstum und Ressourcenausbeutung beenden muss. Die Zukunft liegt in Suffizienz, Effizienz und regionalen Wirtschaftskreisläufen.

Zur strategischen Neuausrichtung beim Kampf gegen die Klimakatastrophe beschließt die Bundesdelegiertenkonferenz:

  1. Bündnis 90 / Die Grünen sind sich der realen Gefährdungslage der Zivilisation durch die fortschreitende menschengemachte globale Erwärmung und der Dringlichkeit des Handelns bewusst. Die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um 3 Grad bis 2050 ist das Szenario, auf das sich die globale Gesellschaft einstellen muss.
  2. Bündnis 90 / Die Grünen treten auf der Basis des bisher Erreichten für eine weitere radikale Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen in allen Bereichen ein, insbesondere bei der Energieerzeugung, der Mobilität, der industriellen Produktion, dem Bauen und der Landwirtschaft.
  3. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich dafür ein, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Superreiche sind insgesamt für mehr als doppelt so viel Treibhausgasemissionen verantwortlich wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung. Wir wollen, dass die Verursacher für die Emissionen von Treibhausgasen gemäß ihrem Anteil an der Klimakatastrophe zur Verantwortung gezogen werden. Dazu sind insbesondere wirtschaftliche Anreize so zu gestalten, dass die Gesellschaft radikal auf einen emissionsarmen Entwicklungspfad umschwenkt.
  4. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich dafür ein, dass Flächenverbrauch begrenzt und Naturzerstörung gestoppt werden. Natürliche Treibhausgassenken wie Grünland, Moore und Wälder müssen wieder aufgebaut werden, um damit die Konzentration von Treibhausgasen in
    der Atmosphäre zu reduzieren. Ohne echte Fortschritte beim Naturschutz werden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen.
  5. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich dafür ein, die notwendigen Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen der globalen Erwärmung so zu planen, dass sie nach Möglichkeit gleichzeitig auch dem Klimaschutz dienen. Anstatt den Fokus auf den CO2-Fußabdruck der Verbraucher*innen zu
    setzen, müssen wir uns dabei auf Industrie, Verkehr und Energie konzentrieren.
  6. Bündnis 90 / Die Grünen stehen an der Seite von Menschen in prekären Lebenslagen, die am stärksten unter den Auswirkungen der Klimakatastrophe leiden.
  7. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich dafür ein, dass das Recht aller Menschen auf eine gesunde und lebenswerte Zukunft als Leitprinzip in allen Klimaschutz- und Klimafolgenanpassungs-Strategien verankert wird. Gesundheitliche Folgen wie u.a. Hitzebelastung, Luftverschmutzung und psychische Belastungen müssen systematisch in Präventions- und Versorgungsstrukturen einbezogen werden.
  8. Bündnis 90 / Die Grünen erkennen an, dass in Folge der Klimakatastrophe Teile existierender Infrastrukturen nicht mehr erhalten werden können, dazu gehört der Rückzug aus tieferliegenden Küstenregionen. Sozialverträgliche Rückzugstrategien müssen zeitnah diskutiert werden.
  9. Bündnis 90 / Die Grünen arbeiten darauf hin, dass sich Deutschland auf internationaler Ebene aktiv für die Umsetzung und Fortschreibung der Grundsätze des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einsetzt und dass alle politischen Ebenen – vom Bund bis zu den Kommunen –
    ihre Entscheidungen im Lichte dieser völkerrechtlichen Verpflichtung überprüfen.
  10. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich dafür ein Klimagerechtigkeit zur Leitlinie deutscher Außenpolitik zu machen, den globalen Süden bei dem Kampf gegen die Klimakatastrophe stärker zu unterstützen und die Klimakatastrophe als anerkannte Fluchtursache in internationalen Abkommen zu verankern.
  11. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich dafür ein, dass der Zugang aller Menschen zu wissenschaftsbasierten Informationen dauerhaft sichergestellt ist. Wir fordern mehr Ressourcen für den Kampf gegen Desinformation und Wissenschaftsfeindlichkeit.

Anhang (nicht Teil des Antragstextes)

Da eine Begrenzung von Treibhausgas-Emissionen durch verpflichtende Maßnahmen weltweit gescheitert ist, zeigt sich in den Messdaten eine immer schneller ansteigende Konzentration von u.a. CO2.

Das Scheitern der Politik in diesem Punkt ist eine der wesentlichen Ursachen, warum Worst- Case-Szenarien des IPCC mehr und mehr in den Fokus geraten. Die Erwartungshaltung in der Mehrzahl der Szenarien, dass die Weltgemeinschaft eine Absenkung der Treibhausgasemissionen erreicht oder wenigstens den Anstieg der THG-Konzentrationen absenkt, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Der Anstieg der Konzentration erreicht aktuell Rekordwerte.

Aus dem beschleunigten Anstieg der THG-Konzentration ergibt sich eine Beschleunigung des Temperaturanstieg in den Messdaten. Der DWD hat bereits auf diese Beobachtung reagiert und seine Modelle angepasst: Der lineare Anstieg von 1971-2024 mit 0,41°C war mehr als dreimal so groß wie der über den gesamten Messzeitraum 1881-2024.

Was diese Entwicklung für die nächsten Jahre bedeutet, ist in den folgenden Diagrammen abzulesen. Zunächst einmal werden wir uns auf wesentlich höhere Temperaturen einstellen müssen, die wir wesentlich rascher erreichen werden. Für den Temperaturanstieg wird es offensichtlich keine Begrenzung geben bis zum Ende des Jahrhunderts, falls sich die Politik nicht radikal ändert.

Das gemäßigte Klima der letzten 10 Jahrtausende hat die Voraussetzungen für die
Entwicklung menschlicher Zivilisationen geschaffen. © DPG / Gehlen 2025

Die Folgen dieser neuen Dynamik in der Klimakatastrophe sind in dieser Abbildung zusammengestellt:

Die Datenlage deutet insgesamt darauf hin, dass ein Worst-Case-Szenario mehr und mehr wahrscheinlicher wird indem eine Zivilisation, in der wir leben, nicht mehr existieren kann.