Die Logik der machtorientierten Grünen Realpolitik ist an ihr natürliches Ende gekommen. Lösungen für die Herausforderungen der Polykrise aus Klimakatastrophe, Artenkollaps, Faschismus und sozialer Spaltung kann sie nicht mehr liefern.
Jürgen Blümer, Drensteinfurt, 31.08.2025
Am 25.08.2025 hat das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) die umstrittenen Atommülltransporte vom stillgelegten Versuchsreaktor im rheinischen Jülich ins Zwischenlager Ahaus im Münsterland genehmigt.
Damit stehen auch wir Grünen – gerade auch in NRW – vor den Trümmern einer Politik, die das Mitregieren vor die Opposition, den Kompromiss vor die Problemlösung und damit den kurzfristigen Machterhalt vor die Zukunftsgestaltung stellt. Dieser Zustand unserer Partei zeigt sich nicht ausschließlich an den sinnlosen Castor-Transporten, die nicht verhindert wurden. Doch an diesem Beispiel wird die politische Krise von uns Grünen besonders deutlich.
Blicken wir also noch einmal auf die Vorgeschichte der nun anstehenden Atomtransporte.
Seit 1993 werden ca. 290.000 verbrauchte Brennelementekugeln in 152 Castor-Behältern in dem Zwischenlager Jülich aufbewahrt. Dessen Genehmigung lief Mitte 2013 ab, da erforderliche Sicherheitsnachweise für eine Verlängerung nicht erbracht werden konnten. Die Lagerung wurde bis Mitte 2014 behördlicherseits noch geduldet, bis am 2. Juli 2014 die Atomaufsicht eine Räumungsanordnung für das Zwischenlager erließ.
Seit nunmehr 32 Jahren lagert also Atommüll in Jülich, ohne dass die Politik ein Konzept für die Aufbewahrung des hochradioaktiven Abfalls vorlegen kann. Seit 2010 finden die politisch Verantwortlichen nicht den Mut und die Verantwortungsbereitschaft, gegenüber den Atommüllverursachern ein langfristig, sicherheitsorientiertes Konzept der Zwischenlagerung am Entstehungsort Jülich durchzusetzen.
Der Vorwurf des politischen Versagens geht sowohl an SPD, CDU, FDP, aber auch an unsere Grünen Ministerinnen in Düsseldorf und Berlin. Denn knapp drei Jahre waren parallel wichtige Positionen von unserer Partei besetzt: das NRW-Wirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium in Berlin mit zwei parlamentarischen Staatssekretären, von denen einer nun als Chef des BASE für die Genehmigungen von Atomtransporten zuständig ist. Das ‚Nein‘ zu Atomtransporten findet sich in dem NRW-Koalitionsvertrag zwischen CDU und uns Grünen und in zwei Beschlüssen der LDK NRW von 2024 und 2025.
Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Patrick Schlüter, lässt sich angesichts dieses politischen Versagens mit den Worten zitieren: „Und wir als GdP haben auch nicht das Gefühl, dass diese Landesregierung wirklich gekämpft hätte, um unserer Polizei diese sinnlose Mammutaufgabe zu ersparen. Die Behälter stehen seit über zehn Jahren ohne Genehmigung in Jülich.“ Den Initiativen gegen diese Atomtransporte liegt ein Schreiben des Bundesumweltministeriums vor, dass aus Düsseldorf nie ernsthafte Gespräche für einen Zwischenlager-Neubau in Jülich geführt wurden.
Man kann die Geschichte an dieser Stelle auch so zusammenfassen: Die einzige sinnvolle Problemlösung – der Bau eines Zwischenlagers in Jülich – wurde in den Mühlsteinen der organisierten politischen Verantwortungslosigkeit zermahlen.
Nun sind ja die Atomtransporte von Jülich nach Ahaus nicht das einzige Problem, mit dem wir uns gerade herumschlagen müssen. Die Polykrise aus Klimakatastrophe, Artenkollaps, Faschismus, unterfinanziertem Sozialstaat und zerbröselnder Infrastruktur neben einem großen Krieg in Europa sind politische Herausforderungen, die entschlossen angegangen werden müssten.
Doch haben wir Grünen überhaupt noch den Mut und die Entschlossenheit, unsere Ideen zur Lösung der Probleme in den Diskurs einzubringen? Macht Grün überhaupt noch einen Unterschied im Regierungshandeln – nicht nur bei Atomtransporten?
Wir wissen längst, dass nur noch radikale Maßnahmen einen Beitrag dazu leisten können, die Klimakatastrophe und den Artenkollaps einzuhegen. Wir bewegen uns dort im Worst-Case-Szenario des IPCC, und eine globale Temperaturerhöhung bis 2050 von 3°C ist möglich.
Krankenversorgung und Pflege funktionieren nur noch, weil Angehörige und Beschäftigte in einem Akt der Selbstaufopferung den notwendigen Tätigkeiten nachgehen. Das System ist derart marode, dass die Beschäftigten nach wenigen Jahren ausgebrannt sind.
Die Ausstattung von Schulen ist derart verheerend, dass die Herkunft mehr und mehr über den Bildungserfolg bestimmt. Das legt nicht nur soziale Ungerechtigkeiten offen, sondern schreibt diese in die nachfolgenden Generationen fort. Und bei der Betreuung von Kleinkindern spricht man sowieso nur noch von der ‚Kita-Katastrophe‘.
All diesen Baustellen ist gemein, dass diese seit Jahrzehnten bekannt sind. Nichts davon ist neu. Nichts davon hat sich überraschend in unsere Gesellschaft eingeschlichen. Und all diese Probleme lassen sich nur durch radikale gesellschaftliche Veränderungen lösen. Die Debatten zu diesen gesellschaftlichen Großbaustellen beschäftigen sich jedoch lediglich mit der Frage: Wie können wir vermeiden, dass die Gesellschaft durch Maßnahmen belästigt werden, die große Veränderungen nach sich ziehen?
Und hier kommt dann natürlich Grüne Politik an ihre Grenzen: Der für die Regierungsverantwortung ausgehandelte Kompromiss ist weit weg von dem, was tatsächlich eine Problemlösung darstellt (Zwischenlager, Asyl) oder wird erst gar nicht ins Parlament eingebracht (Klimageld, Kindergrundsicherung, Bürgerversicherung). Im Ergebnis bleibt also, dass für die Teilhabe an Macht eine Problemverschleppung herhalten muss.
Dieses Aushandeln von Kompromissen zum Wohle des Gesamtsystems Deutschland hat sehr lange funktioniert. Das hat aber nicht zu Lösungen geführt, so dass uns stattdessen die Zeit davonläuft angesichts sich auftürmender Herausforderungen. Die Klimakatastrophe ist bereits außer Kontrolle, und woher die Arbeitskräfte für die Sanierung der maroden Infrastrukturen kommen sollen, kann niemand schlüssig in ein politisches Handlungskonzept gießen. Denn für die notwendigen, radikalen Maßnahmen fehlen die erforderlichen politischen und gesellschaftlichen Mehrheiten.
In einer derartigen Situation ist die Aufgabe von uns Grünen nicht, die nächste Regierungsbeteiligung anzustreben, sondern um Mehrheiten zu kämpfen für echte Lösung in der realen Welt. Um das mal pathetisch zu formulieren: Das ist der Gründungsmythos unserer Partei.
Können wir es uns überhaupt noch leisten, angesichts der knappen Ressource ‚Zeit‘, weiterhin mit fachlich nicht begründeten Kompromissen in Regierungsverantwortung einzutreten? Sollen wir Grünen weiterhin eine Simulation von Politik unterstützen, die kostbares gesellschaftliches Engagement zermürbt?
Die Antwort liegt auf der Hand: Die Zeit der Kompromisse ist vorbei. Wir Grünen verrennen uns dabei immer mehr in die Sackgasse genau jener Realitätsverweigerung, die wir anderen Parteien stets vorwerfen. Wir werden nun mal nicht gewählt, wenn wir in Europa gegen Asylregelungen stimmen, die wir in Berlin durchgewunken haben. Und das zu Recht.
Als diskursfreudige Programmpartei mangelt es uns nicht an Lösungsansätzen, sondern an Mut und Willen, diese Ansätze auch in Politik umzusetzen. Wenn alle Fakten für eine Vermögenssteuer und höhere Schuldenquote zur Finanzierung der Kommunen sprechen (die tatsächlich immer handlungsunfähiger werden), dann macht es aktuell keinen Sinn mehr, eine Regierung zu unterstützen, die diese Veränderungen ablehnt. Und wenn ein Koalitionsvertrag vorsieht, Atomtransporte zu minimieren, ist es die Aufgabe der zuständigen Ministerin, bis an die Schmerzgrenze der Aufkündigung der Regierungsbeteiligung zu gehen, um genau dieses durchzusetzen.
Tun wir dies nicht als Grüne, verlieren wir das wertvollste, das wir als Partei haben: Die Unterstützung der aktiven Zivilgesellschaft, die für unsere Vorstellung von Politik auf die Straße geht – selbst, wenn die Menschen weder Mitglied bei uns Grünen sind oder uns Grüne wählen.